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Der vierte Tag der 31. Theatertage – 12.06.2021

Meeting der Werk- und Spielstättenleiter*innen

Die Theatertage beginnen heute bereits 10 Uhr mit einem, für alle Interessierten, offenen Meeting der Werk- und Spielstättenleiter*innen. Die Anwesenden äußern sich mithilfe vieler poetischer Adjektive zu den bisher gesehenen Stücken der eigenen und fremden Gruppen.
Es gibt eine Vielzahl positiver Rückmeldungen, einige Denkanstöße und das Aufzeigen von konkreten Optimierungsmöglichkeiten sowie das Aufwerfen offen gebliebener Fragen.
Die Stimmung ist entspannt und locker. Es wird sowohl gesprochen als auch widersprochen.
Was abschließend folgt, ist eine Diskussion zur Frage, wie die Zukunft für die Theaterzunft aussehen wird. Es herrscht Einigkeit darüber, dass nichts das reale Spiel auf der Bühne ersetzen kann und wird. Unterschiedlicher Auffassung war man jedoch, ob Filmsequenzen oder auch Videostreams auf die Bühne gehören und wie notwendig ein, weiterhin zu aktualisierender YouTube Kanal, ist. Es wird wohl weiterhin sinnvoll sein, die Augen offen zu halten, sich dem Neuen nicht zu verschließen und immer neue Wege gemeinsam gehen zu wollen – das hat das Theater seit jeher ausgezeichnet!

Werkstatt von Kevin Bianco aus Italien

Aufgrund des fehlenden Werkstättenleiters konnte diese Werkstatt spontan leider nicht umbesetzt werden und musste daher ausfallen.

„gescheitertes Theaterprojekt“

Der Titel lässt erst einmal keine allzu großen Erwartungen zu, jedoch wird man vom ersten Augenblick an angesprochen und mit den gestellten und eigenen Fragen mitgenommen. Während der Begriff „Mauern“ hinterfragt und definiert wird, hinterfragt man selbst, was „Mauern“ für einen sind und wie „mauern“ sich davon unterscheidet.
Vor den Augen der Zusehenden werden weiße Kisten geworfen und gestapelt bis die sprichwörtliche Mauer an ihrem Platz steht und dort zur Projektionsfläche realer Mauern und ihrer Geschichten wird. Das Beispiel, welches dabei am meisten Raum einnimmt, ist die Berliner Mauer – die immer noch ihren festen Platz in unserer Gesellschaft hat und heute immer noch als Projektionsfläche für Klischees und Erklärungen hinhält.
Von der Mauer weg, wird man hin zu anderen, scheinbar unüberwindlichen Mauern geführt – in ein anderes sinnbildliches Gefängnis. Wir befinden uns mitten im „schweigenden Klassenzimmer“. Eine bedrückende und angsteinflößende Situation, der man plötzlich ausgesetzt ist – was würde man geben, um mit heiler Haut davon kommen zu können. Betreffen die Drohungen, Erpressungen und Lügen nicht nur das eigene Leben, sondern auch das der Familie, der Freunde – der Menschen, die man schützen will.
Um Schutz geht es auch in der nächsten Szene. Allerdings geht es hier um den Staatsschutz. Den Staatsschutz vor westlichem Einfluss – Westkleidung, Westmusik, Westzeitschriften stehen als Symbol des grüneren Grases auf der anderen Seite des Zauns. Nachdem der Staatsschutz die Szene verlassen hat, entbrennt eine Diskussion über die Notwendigkeit nach Unerreichbarem zu streben und dabei das Gute, direkt vor den Augen nicht wahrzunehmen.
Im Abschluss steht die Mauer wieder aufgebaut, diesmal im Hintergrund, immer noch als Projektionsfläche genutzt, im Raum – davor befinden sich die Schauspielenden. Sie tauschen sich über die Parallelen zwischen der „Mauer“ und „Corona“ aus. Jede geäußerte Position bezieht dann als Wort ihren Platz auf der illuminierten Mauer.
Als Befreiungsschlag wird die Mauer gemeinsam eingerissen, um ihre Grenzen zu überwinden und über sie hinaus zu wachsen. Doch Wachstum macht auch immer Angst – so eine Mauer schützt eben doch, ein wenig, vielleicht, oder?

„Flucht ins Grüne“

Wir starten in einer Großstadt mitten im Verkehr, wir wissen nicht wo und auch nicht warum. Dann der Wechsel, plötzlich befinden wir uns mit zwei Mädchen auf einem Feld. Und sie rennen und rennen und rennen. Wir wissen nicht, von wo sie kommen, warum sie rennen und auch nicht, wo sie hin wollen.
Die zwei Mädchen finden einen Unterschlupf und äußern, dass sie dort erst einmal verweilen wollen und hoffen nicht entdeckt zu werden. Wir werden weiterhin im Unklaren gelassen, was die Mädchen vertrieben hat. Aber wir, die Zusehenden hoffen, dass sie etwas zur Ruhe kommen mögen. Sie machen sich ihr Versteck ordentlich und gemütlich – gerade als man denkt, jetzt haben sie es geschafft und man erleichtert ausatmen möchte, taucht jemand im Bild auf.
Die Mädchen versuchen sich, so gut es geht, zu verstecken – man ahnt ihr Herzklopfen und ihre Aufregung. Doch, ein Glück, der Fremde geht einfach weiter und als er wiederkommt, nimmt er erneut keine Notiz von den Mädchen.
Schon bald sind die Zwei das Gesprächsthema im Ort und wie immer, scheiden sich auch hier die Geister. Die Einen erfreuen sich an den Fremden und möchten mehr über sie wissen. Die Anderen haben Angst vor dem Fremden und möchten sich gegen sie abgrenzen und, dass sie verschwinden sollen. Das führt sogar so weit, dass den Mädchen ein Diebstahl untergeschoben wird – nur um sie abschieben zu können. Der Bestohlene jedoch reagiert nicht so, wie erwartet und belässt es dabei, wohl wissend, dass nicht alle so tolerant sind, wie es gut für die Welt wäre und die Mädchen dürfen bleiben. Seine Toleranz und Gutmütigkeit gipfelt darin, dass er den Mädchen – die nun schon zu jungen Frauen herangewachsen sind – nach seinem Tod, seinen gesamten Besitz zu vermachen.

„Ballade von dem Land des Jean Lèpardu“

Dieses Stück lebt von seinen Spielenden – von dem Prozess in ihrer Gruppe, von ihren persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten, von ihrer Scham und der Überwindung eben jener.
Es ist bezaubernd dieses Herauswachsen, dieses Grenzen überschreiten, dieses Ausprobieren mitverfolgen zu können.
Wir werden mitgenommen zu Proben mit der gesamten Gruppe. Wir sehen, wie einzelne Spielende das Tanzen zum vorgegebenen Rhythmus erlernen. Wir sind dabei, wenn sie ihre Stimme ausprobieren – bei Geräuschen, die den gesamten Körper erbeben lassen oder auch beim Singen, wo jeder Ton eine individuelle Herausforderung ist, die nicht leicht genommen und dennoch gemeistert wird. Das Erstaunen desjenigen, der gerade über sich selbst hinausgewachsen ist. Die, den Spielleiter*innen, entgegengebrachte Dankbarkeit – sie, die Spielenden – immer wieder über den Rand ihrer Komfortzone zu schubsen.
Wir hören Spielenden und Spielleiter*innen zu, die den Arbeitsprozess mit ihren Worten zusammenfassen, ihre Gefühle bei der gemeinsam Arbeit beschreiben, sich die eigene Entwicklung vor Augen führen und einen Ausblick in die Zukunft wagen. Wir haben durch dieses Stück die Chance hinzusehen, hinzuhören und mitzufühlen – es ist wie eine gemeinsame Reise, an deren Ende die einzelnen Szenen zu einem Gesamtwerk zusammengesetzt werden.
Der emotionale Höhepunkt ist der Tanz der Liebenden am Ende dieser Reise – wohl wissend, wie schamvoll und eigene Grenzen überschreitend dieser Tanz für die beteiligte Schauspielerin ist – gewinnt er, spätestens mit der ehrlichen Erleichterung beim Ertönen des Applauses, jedes Herz.

Monologe – Aufnahme Schauspielschule

Am Abend findet eine Werkstatt statt, in der die Zugeschalteten einen Rollenwechsel durchmachen. Sie sind nicht diejenigen, die angeleitet werden, sondern sie rutschen in die Rolle des zu Beurteilenden – plötzlich war man selbst Theaterschulleitung und sollte über das Wohl und Wehe drei junger Schauspieler*innen befinden. Eine Aufgabe, die sich leichter anhört, als sie ist.
Trotzdem, dass wir ein eher kleiner Kreis waren, ist die Aufregung bei allen drei Schauspieler*innen spürbar – selbst durch die Sphären des virtuellen Raumes, in dem wir uns befinden. Sie stellen sich einer Laienjury – für zwei der drei ist es nicht das erste Mal, da sie schon einige Schauspielaufnahmeprüfungen hinter sich gebracht haben.
Frank legt fest, dass wir mit Kevins Monolog starten, dann mit Friederikes weitermachen und zum Schluss den Monolog von Gwen hören und sehen werden. Kevin beginnt. Er stellt sich kurz selbst vor, nennt das von ihm gewählte Stück und gibt eine kurze Einordnung der Szene in den Inhalt des Stückes. Es handelt sich um „Top Dogs“ des Schweizer Autors Urs Widmer. Als er anfängt zu sprechen, schauen wir Anderen genau hin – schließlich wird hinterher von uns eine Auswertung erwartet. Bedingt durch die Entfernung von Kevin, der sich in Italien befindet, zu seiner Kamera im Raum ist die Mimik nicht allzu deutlich zu erkennen – seine Sprache und seine Gesten hingegen sind gut wahrzunehmen.
Man folgt einem verzweifelten Mann, der versucht nicht wahnsinnig zu werden, jedoch immer wieder dahin driftet. Man ist sich nicht sicher, ob er zu bedauern oder zu belächeln oder zu beängstigend ist. Nachdem Kevin fertig ist, müssen wir zum Glück nicht sofort etwas sagen, denn Frank fragt Kevin nach seinem Puls. Eine interessante Frage und dann sieht man, wie der Spielende unter Anleitung des Spielleiters seinen Puls misst. Irritierend! Aber erhellend. Der Puls des Spielenden ist niedriger, als der Puls des Zuschauenden. Die aufgeworfene Frage ist die, der persönlichen Betroffenheit. Kevin soll sich vorstellen, dass ihm widerfährt, was der fiktiven Person der Geschichte passiert ist – er soll sich für eine Minute still in diese Situation hineinbegeben.
Als er daraufhin erneut ansetzt zu spielen, sind seine Gesten präziser, deutlicher und authentischer – seine Sprache und seine Gefühle transportieren die Worte nicht nur in unsere Ohren, sondern auch in unser Herz. Nun hat er nichts komisches mehr, es ist die reine Verzweiflung, die man erlebt.
Der Schlusssatz von Frank war sehr einprägsam: „Wähle immer einen Text, der etwas in dir bewegt und wisse, um die Ursache dieser Bewegung.“
Als Nächstes folgt Friederike. Eine Herausforderung auch für sie, denn ihr Monolog wird abgespielt und sie sieht sich selbst spielen. Dabei ist ihr Blick viel selbstkritischer, als der unsere. Der gewählte Text wurde von Frank geschrieben und ist der Teil „Das Bekenntnis“ aus „Liebesrau(s)ch – Monolog eines Nichtrauchers“. Die Rückfrage von Christina, ob Friederike jemals geraucht hätte – muss diese (glücklicherweise) verneinen. „Und das hat man gesehen“, meint Christina – denn das Hantieren mit der imaginären Zigarette war nicht glaubwürdig. Worin sich jedoch alle einig waren, ist, dass sie eine klare Sprache und pointierte Körpersprache gezeigt hat. Über Friederike und Kevin sagt Frank, dass sie außergewöhnlich diszipliniert sind und deshalb sehr gute Voraussetzungen für die Schauspielschulen mit sich bringen – auch wenn Friederikes Ziel ein Geowissenschaften Studium in Potsdam und keine Schauspielschule ist.
Die Dritte im Bunde ist Gwen. Auch sie stellt sich vor. Sie ist Anfang zwanzig und hat seit drei Jahren Erfahrung mit dem Bewerben an Schauspielschulen – dieses Prozedere hat sie sowohl in Präsenz, als auch in E-Castings erlebt. Sie sagt nichts zu dem gewählten Text und ordnet die gespielte Szene nicht ein. Vermutlich liegt darin und in dem doch eher chaotischen Inhalt die Begründung, warum es schwer fehlt ihr inhaltlich zu folgen. Der Text springt, ebenso wie sie über die Bühne. Sie spricht, wenn sie geht und sie spricht, wenn sie sich bewegt. Das finden fast alle – ist einfach etwas zu viel. Man ist abgelenkt, von ihrem Wandern, ihrer Kleidung, ihrer erotischen Stimme und überfordert mit einem Text, den man nicht nachvollziehen kann. Frank lässt Gwen ihren Text noch einmal bringen, diesmal statisch im Raum stehend. Sie wechselt nur einmal die Körperhaltung – schon wird der Text verständlicher (vielleicht, weil er jetzt bereits durch den Kopf gezogen ist und Spuren hinterlassen hat, an die man nun anknüpfen kann). Ihre Stimme trägt nun die inhaltlich noch losen Enden zu den Anknüpfungspunkten und verbindet sie – keine Ablenkung tut ihr und ihrem Text sehr gut. Für Gwen eine spannende Erfahrung, so wird ihr doch immer gesagt, dass sie mehr Körper reinbringen soll und hier hat das Gegenteil den erwünschten Effekt auf die Zusehenden.
Die Gruppe und auch Frank waren sich einig, dass alle drei Potenzial mitbringen und wir ihnen alsbald einen, der begehrten, Plätze an einer Schauspielschule wünschen.
„Die Sphinx“ Edgar Allan Poe von Peggy Einenkel

Ein Film, der einen schon in den ersten Sekunden durch seine Professionalität begeistert. Ich konnte kaum zuhören, denn mir stellten sich all die Fragen: Wie hat sie das gemacht? Welches Programm hat sie benutzt? Wie lange hat sie wohl daran gesessen? Nachdem dieser Fragensturm sich beruhigt hat – auch wenn einzelne Fragen bei neuen Filmelementen wieder aufblitzten – war es mir möglich Peggys warmer und ruhiger Stimme zu folgen und mich von ihren Worten und Bildern mitnehmen zu lassen. Es wird nicht einen Augenblick langweilig, es ist abwechslungs- und trickreich. Peggy hat ihre Geschichte so unterschiedlich in Szene gesetzt – passend zum Inhalt, nie störend, sich nicht in den Vordergrund drängend. Die Augen wandern staunend über den Bildschirm und erfreuen sich an der Verschiedenheit, dem die Geschichte ihren passenden Rahmen gibt.
Ein großes Kompliment an die Künstlerin und wann immer du Zeit hast, weih mich gern in deine Geheimnis des Filmschnitts ein.